Wissen vermitteln

Der Mensch, ein kognitiver Faulpelz

Wenn einen der alte Weg nicht weiter bringt, was liegt da näher als einen neuen zu beschreiten, um ans Ziel zu kommen? Mit dieser Entscheidung ist bereits der wichtige erste Schritt getan. Es folgt nur kein zweiter. Denn man will zwar etwas verändern, aber nicht sich selbst. Und auch das eigene Verhalten nicht. Woran das liegt, und wie man als Hundetrainerin und Hundetrainer mit vermeintlich beratungsresistenten Menschen umgehen kann, dazu hat die Psychologin, Trainerin und tierpsychologische Beraterin Bettina Stemmler Wissenswertes aus Wissenschaft und Trainingspraxis zusammengetragen.

Theoretisch offen für Neues, in der Praxis bleibt alles beim Alten. Woran liegt's?
Theoretisch offen für Neues, in der Praxis bleibt alles beim Alten. Woran liegt's?

 

Kennen Sie das? Sie haben bei einer Hundehalterin oder einem Hundehalter einen Trainingsbesuch absolviert, haben darauf geachtet, alles verständlich zu erklären, und Ihr Gegenüber hat den Eindruck gemacht, Ihnen gefolgt und einverstanden zu sein. Sie haben die praktischen Übungen gezeigt, sie schrittweise und unter Anleitung ausführen lassen, alle Schritte für den Hausgebrauch nachvollziehbar beschrieben und das Ganze allenfalls mit Bild und Videomaterial angereichert. Und dann müssen Sie beim nächsten Besuch feststellen, dass anscheinend nichts hängen geblieben ist, der Kunde sein und die Kundin ihr Verhalten nicht verändert hat und hofft, dass Sie jetzt mal magisch schnippen oder mindestens „milanisch“ zischen...
Da das Erstere nicht möglich und das Zweite unmöglich ist, fragen Sie sich, was da schiefgegangen ist und was Sie tun können, damit Ihr Kunde endlich versteht, dass er etwas an seinem Verhalten ändern muss – soll am Ende nicht der Erfolg des Trainings und damit letztlich auch Ihre Kompetenz als Trainerin oder Trainer in Frage gestellt sein.

 

Wir Menschen sind eigentlich „kognitive Faulpelze“ und geben erfolgreiche oder scheinbar erfolgreiche Verhaltensstrategien nicht auf. Auch dann nicht, wenn es eine bessere Strategie gäbe, die wir rational sogar nachvollziehen können. Dieses Phänomen greift selbst dann, wenn sich ein Hundehalter mit einem Problem an einen Trainer wendet, also eine bisherige Strategie als nicht erfolgreich erkannt wurde, und man einen Experten oder eine Expertin damit beauftragt aufzuzeigen, was geändert werden muss, um erfolgreich zu sein.

 

Was tun, wenn es mit der Verständigung mit einer Kundin oder einem Kunden nicht klappt?
Was tun, wenn es mit der Verständigung mit einer Kundin oder einem Kunden nicht klappt?

Wie entsteht dieses widersprüchliche Verhalten? Dazu erst einmal etwas zum Verhalten als solchem. Hinter einem Verhalten sieht die Psychologie eine Absicht, welche wiederum von mehreren Faktoren beeinflusst wird. Dazu gehören persönliche Einstellungen, aber auch die Vermutung, welche Meinung das eigene Umfeld zu einem Thema hat, und inwieweit man bereit ist, dieser Meinung zu entsprechen. Dazu ein Beispiel. Sagt der Vater eines Kunden: „So verweichlichst und vermenschlichst du deinen Hund nur – das geht doch nicht!“. Wenn der Kunde bestrebt ist, den Erwartungen seines Vaters gerecht zu werden, dann hat der Kommentar des Vaters einen grossen Einfluss auf ihn. Ausserdem für ein Verhalten relevant sind externe Faktoren, die bestimmen, ob wir dessen Ausführung als schwierig oder leicht einschätzen. Nehmen wir an, ein Kunde fährt kein Auto oder lebt mit einer körperlichen Beeinträchtigung. Dann wird er erwarten, dass diese Einschränkungen eine Verhaltensänderung erschweren. Hier sind wir als Trainerinnen und Trainer gefordert, mit kreativen Ideen das Training so anzupassen, dass diese hinderlichen externen Faktoren der Durchführung des vereinbarten Trainings nicht im Weg stehen. Zu guter Letzt spielen natürlich auch Gewohnheiten und das bisherige Verhalten eine Rolle. Personen, die schon lange Hunde halten, haben Gewohnheiten entwickelt, die unter Umständen nicht optimal, aber umso gefestigter sind.

 

Wer den Hund trainieren will, muss seinen Menschen erreichen.
Wer den Hund trainieren will, muss seinen Menschen erreichen.

 

Für uns als Trainerinnen und Trainer heisst das: Möchten wir ein Verhalten einer Person ändern, dann müssen wir uns der dahinterstehenden Faktoren bewusst sein. Und versuchen, durch Information ihre Einstellung so zu ändern, dass ein anderes Verhalten möglich wird. Ob und wie stark Informationen Einstellungen verändern, hängt von der Motivation und den kognitiven Fähigkeiten ab. Das bekannte „Elaboration Likelihood Modell“ unterscheidet zwei Routen der Einstellungsänderung, eine mit hoher Motivation und kognitivem Engagement (zentrale Route) und eine mit beidem in geringem Ausmass (periphere Route). Beide Routen können gleichzeitig aktiv sein. Je höher die Motivation und Fähigkeit, eine Botschaft zu verarbeiten, ist, desto eher kommt die zentrale Route zum Einsatz. Einstellungen, die über die zentrale Route gebildet wurden, sind nachhaltiger und stärker wie jene, die über die periphere Route entstanden sind. Bei Personen, die einen obligatorischen Hundekurs absolvieren, nur, weil das Gesetz es verlangt, ist wahrscheinlich vor allem die periphere Route aktiv.

 

Wann kommt hauptsächlich welche Route zum Zug? Wenn ein Mensch nur wenig motiviert ist und kaum über kognitive Fähigkeiten oder Zeit verfügt, dann werden die peripheren Prozesse Vorrang haben. Die periphere Route ist der Normalfall, da wir Menschen nur über begrenzte Ressourcen und Motivationen verfügen, um Botschaften zu verarbeiten. Zu den peripheren Prozessen gehören u.a. Gefühle, subjektive Erfahrungen und Heuristiken. Heuristiken sind einfache Entscheidungsregeln, die häufig unbewusst angewandt werden, wie beispielsweise „Was sagt mir mein Gefühl?“ „Experten haben Recht“, „Die Mehrheit hat Recht“. So konnte beobachtet werden, dass sympathische Menschen, Mehrheiten und Experten mehr Glaubwürdigkeit geniessen als Minderheiten, Laien und unsympathische Menschen. Besonders wichtig wird die Heuristik der Expertengläubigkeit, wenn eine Person ohne kynologisches Wissen einem Hundeexperten gegenübersteht, der womöglich noch vom Staat zertifiziert ist.

 Wenn ein Mensch hingegen über eine hohe Motivation und gute kognitive Voraussetzungen verfügt, wird eher die zentrale Route aktiv. Ebenfalls vertieft denken Personen über etwas nach, wenn sie persönlich betroffen sind. Bei der Verarbeitung einer Botschaft über die zentrale Route ist wichtig wer, was, zu wem und über welche Kanäle kommuniziert. Und entscheidend ist hier nicht nur, dass externe Informationen verfügbar sind, sondern auch, wie sie beschaffen sind. Denn wenn Personen aktiv über etwas nachdenken, ohne über externe Informationen zu verfügen, führt dies zu Einstellungsänderungen hin zu extremeren Einstellungen. Diese Informationen sollten aber nicht nur zur Verfügung stehen, sie müssen darüber hinaus fundiert sein.

In unseren Köpfen wimmelt es von Einflüssen, die unser Verhalten mitbestimmen. Vieles davon ist uns nicht bewusst.

Wir als Trainer sollten also versuchen, die zentrale Route unsere Kunden anzusprechen. Darum gebe ich jeweils einen Theorieinput, um meinen Kunden die Faszination des belohnungsbasierten Trainings zu vermitteln, und damit sie verstehen, was wir tun und dadurch auch motivierter sind, sich vertieft damit zu beschäftigen. Wichtig ist dabei, nicht nur auf der kognitiven Ebene zu bleiben, sondern die Leute auch emotional abzuholen. Ihnen klarzumachen, dass es in Ordnung ist, ihre tiefempfundene emotionale Hinwendung zum Hund so zu leben, dass sie nicht aversiv mit ihm umgehen müssen. Einerseits, weil es unethisch und andererseits auch völlig unnötig ist. Denn durch unsere Anleitung erlernen sie das Wissen und die Fertigkeiten, ein systematisches Training durchzuführen, bei dem sich Mensch und Hund gut fühlen.

Wichtig ist auch, dass von Anfang an Klarheit und Einigkeit über die für den Trainingserfolg notwendigen „Investitionen“ herrscht, wenn man sich für diesen Weg entscheidet. Investitionen in Form von Zeit, kognitiver Arbeit, konsequentem Durchführen des Trainings und Geld. Je besser es gelingt, die Kundin oder den Kunden von dieser Notwendigkeit zu überzeugen, desto schneller sind Erfolge zu beobachten, die dann zu einem sich selbst verstärkenden Kreislauf führen. Und nicht vergessen: auch Menschen lernen am besten schrittweise und mit punktgenauer positiver Verstärkung! Vor allem, wenn es mit dem kognitiven Verstehen allein nicht getan ist, wenn die motorischen Fertigkeiten, das Beobachten des Hundes und das Timing eine Menge praktischen Übens erfordert, bis alles so „automatisiert“ ist, dass optimal trainiert werden kann. Es lohnt sich daher, die Übungen in kleinen Schritten zu erklären, und die Schritte, die bereits gut alleine bewältigt werden, ohne Anleitung üben zu lassen und das gute Gelingen unmittelbar mit einem positiven Feedback zu kommentieren.

 

Manchmal helfen jedoch alle Bemühungen nichts. Die Gründe können sein, dass der Kunde durch andere Probleme in seinem Leben einfach nicht die Motivation aufbringen kann, die nötig ist oder andere externe Faktoren können eine erfolgreiche Zusammenarbeit verhindern. Es gibt Menschen, die ein bestehendes Problem nicht wirklich lösen wollen, oder bei denen einer Lösung eigene psychische Probleme im Weg stehen. Ich denke, man muss sich eingestehen, wenn es trotz allen Bemühungen nicht klappt – ohne dies als Versagen zu werten. In so einem Fall ist es am besten, das der Kundin oder dem Kunden ehrlich und begründet mitzuteilen.

 

Nicht immer einfach: Neues lernen bedeutet auch, alte Überzeugungen über Bord zu werfen.
Nicht immer einfach: Neues lernen bedeutet auch, alte Überzeugungen über Bord zu werfen.

 

Eine besondere Herausforderung können Kunden darstellen, die auf ein sachliches und argumentativ untermauertes Infragestellen ihres bisherigen Verhaltens emotional reagieren. Das ist häufig der Fall, wenn ein eine Halterin oder ein Halter zutiefst von einer Methode überzeugt ist, obwohl sie bereits überholt oder nur scheinbar erfolgreich ist. Wenn solche Hundehalter beispielsweise einmal begonnen haben mit aversiven Methoden zu arbeiten und es zu funktionieren scheint, dann fühlen sich diese Menschen in ihrem Selbstbild bedroht, wenn man diese Methoden in Frage stellt. Ich denke, dies hat psychologisch mehrere Gründe. Einerseits, weil auch für diese Menschen der Hund emotional wichtig ist, und mit der Kritik an dem Umgang fühlt der Mensch fälschlicherweise auch seine Zuneigung in Frage gestellt. Zudem möchten Menschen sich konsistent in Raum und Zeit erleben, das verhilft uns zu unserer Identität. Meinungen und Gedanken, welche unserer konstruierten Theorie entgegenstehen (sogenannte dissonante Kognitionen) werden als Bedrohung dieser identitätsstiftenden Konsistenz erlebt. Und das führt dazu, dass neue Ideen abgewertet oder ignoriert werden anstatt sie rational und sachlich zu prüfen. Sogar offensichtlich einleuchtende Fakten werden ignoriert und stattdessen Informationen gesucht, welche die bestehende Theorie bestätigen (Confirmation Bias und Theorie der kognitiven Dissonanz von Festinger, 1957).

 

Das geht so weit, dass Menschen nicht von ihrem Weg abgehen, obwohl sie wissen, dass sie einen Fehler gemacht haben, denn das würde ja bedeuten, vor sich und der Welt einzugestehen, auf dem falschen Weg gewesen zu sein. Die Angst vor diesem Gesichtsverlust ist so unglaublich stark, dass man jeden Zweifel innerlich verdrängt und umso emotionaler „um sich schlägt“, wenn das eigene Handeln durch andere in Frage gestellt wird. Zudem können nachweislich falsche Theorien sehr plausibel und logisch wirken und sich daher so schnell wie weiträumig verbreiten. Einstein soll gesagt haben „Nur Dummköpfe ändern ihre Meinung nicht“, aber ich glaube, es bedarf einer grossen inneren Sicherheit zu bekennen, „Ich habe mich geirrt und jetzt mache ich etwas anders“. Um sich diesen Schritt zuzutrauen, hilft es unseren Kundinnen und Kunden, wenn wir sie darauf aufmerksam machen, dass ein Umbesinnen keinen Gesichtsverlust, sondern es im Gegenteil eine wirkliche Leistung darstellt, sich dieses Phänomens bewusst zu sein, stets kritisch mit den eigenen Überzeugungen umzugehen und nie aufzuhören dazuzulernen. Das gilt natürlich nicht nur für die Kunden, sondern besonders für jene, die sich Experten nennen. Und diese Gültigkeit reicht weit über den Hundeplatz und tief in das menschliche Miteinander hinein: Ein Mensch, der sich bewusst ist, dass niemand die endgültige, volle Wahrheit besitzt und der über eine geschulte Empathie und Ethik verfügt, der wird weder Minoritäten diskriminieren noch einem anderen Menschen oder seinem Hund Gewalt antun.

 

Ein Ziel, das viele Mühen lohnt: Mensch und Hund helfen, ein Team zu werden.
Ein Ziel, das viele Mühen lohnt: Mensch und Hund helfen, ein Team zu werden.

Literaturverzeichnis

  • Zum Weiterlesen in diesem Thema: „Menschentraining für Hundetrainer“ von Nicole Wilde, Kynos Verlag
  • Ajzen, I. (1991). The theory of planned behavior. Organizational behavior and humand decision processes, 50, 179–211.
  • Ajzen, I. & Madden, T. J. (1986). Prediction of goal-directed behavior: Attitudes, intentions, and perceived behavioral control. Journal of Experimental Social Psychology, 22, 453–474.
  • Allport, G. W. (1954). The nature of prejudice. Reading, MA: Addison-Wesley.
  • Bentler, P. M. & Speckart, G. (1979). Models of attitude-behavior relations. Psychological Review, 86, 452–464.
  • Cacioppo, J. T., Petty, R. E., Feinstein, J. A. & Jarvis, W. B. (1996). Dispositional differences in cognitive motivation: The life and times of individuals varying in need for cognition. Psychological Bulletin, 199, 197–253.
  • Chaiken, S., Liberman, A. & Eagly, A. H. (1989). Heuristic and systematic information processing within and beyond the persuasion context. In J. S. Uleman & J. A. Bargh (Eds), Unintendend thought (pp. 212-252). New York: Guildord.
  • Festinger, L. (1957). A theory of cognitive dissonance. Stanford CA: Stanfort University Press.
  • Petty, R. E & Cacioppo, J. T. (1986a). Communication and persuasion: Central and peripheral routes to attitude change. New York: Springer.
  • Petty, R. E & Cacioppo, J. T. (1986b). The elaboration likelihood model of persuasion. In L. Berkowitz (Ed.), Advances in experimental social psychology, Vol. 19, (pp. 123–205). New York: Academic Press.
  • Petty, R. E. & Wegener, D. T. (1999). The elaboration likelihood model: Current status and contorversies. In S. Chaiken & Y. Trope (Eds.), Dual process theories in social psychology (pp. 41–72). New York: Guilford Press.
  • Stroebe, W., Jonas, K. & Hewstone, M. (Hrsg.). (2003). Sozialpsychologie. Berlin: Springer Verlag.
  • Tesser, A. (1978). Self-generated attitude change. In L. Berkowitz (Ed.), Advances in experimental social psychology, Vol. 11, (pp. 278–338). New York: Academic Press.

Bettina Stemmler, Hundetrainerin (www.scotties.ch) und Gründerin der Initiative für gewaltfreies Hundetraining

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