Wissenschaftliche Verhaltenstherapie


von Dr. Ute Blaschke-Berthold

 

Ziele

Wissenschaftliche Verhaltenstherapie hat das Ziel, problematisches Verhalten unter Berücksichtigung aller Ursachen schnell und nachhaltig zu verändern. Dieses Ziel wird erreicht, indem Verhaltensbiologie, Tiermedizin und Lernwissenschaften gleichberechtigt eine umfassende Arbeitsgrundlage bilden.

 

Was ist das "Wissenschaftliche" an diesem Konzept?

Verhalten kann nicht nur beobachtet und beschrieben, sondern auch quantifiziert werden: Wie oft tritt es auf? Wie viel Zeit verstreicht vom Auftreten des Auslösers bis zum Beginn des Verhaltens? Wie lange dauert es an? Wie lange dauert es, bis das Verhalten wieder auftritt? In welcher Intensität tritt das Verhalten auf? Messen und Zählen geben uns Auskunft über wesentliche Dimensionen eines problematischen Verhaltens. Wir schaffen damit eine Grundlinie, anhand derer wir Fortschritte durch die Verhaltenstherapie messen und belegen können; aber auch falsche Einschätzungen werden so frühzeitig erkennbar. Quantifizierung bringt Objektivität und Qualitätssicherung in einen Arbeitsbereich, der traditionell von subjektiver Einschätzung aller Beteiligter dominiert wird.

In unserer Ausbildung werden Sie lernen, wie problematisches Verhalten und der Verlauf der Verhaltenstherapie so objektiv wie möglich erfasst und in einem Fallbericht dokumentiert werden können.

 

Die Rolle der Verhaltensbiologie

Verhalten hat immer mehrere Ursachen; darauf hatte bereits Niko Tinbergen, ein Begründer der klassischen Ethologie, hingewiesen. Seine Beschreibung der unterschiedlichen kausalen Ebenen jedes Verhaltens haben heute noch Gültigkeit. In der wissenschaftlichen Verhaltenstherapie nutzen wir dieses Konzept, um eine Anamnese des problematischen Verhaltens zielorientiert und effizient erstellen zu können. Evolution, Individualentwicklung, Auslöser und bedingende Faktoren sowie die Konsequenzen des Verhaltens sind Ursachen und tragen zu seiner Entstehung bei.

Unsere Ausbildung wird Ihnen die vielschichtige ethologische Seite der Verhaltenstherapie auf dem neuesten Stand nahebringen.

 

Die physiologische Seite

Neurobiologie und Endokrinologie tragen zum Verständnis problematischen Verhaltens bei. Vertieftes Wissen über die Bedeutung von Stress, Schwankungen im Haushalt verschiedener Hormone, Wirkung von Medikamenten, Nahrungsergänzungen und physikalischen Hilfsmitteln sowie Kenntnis der vielfältigen medizinischen Ursachen ist für den Verhaltensberater unabdingbar. Mit Hilfe diesen Wissens wird monatelanges, teures und unnötiges Experimentieren mit verschiedenen Trainingstechniken verhindert. Verhalten entsteht im Körper und bedingende körperliche Ursachen für problematisches Verhalten müssen immer und von Anfang an berücksichtigt werden. Hierzu gehört auch der Aufbau von Arbeitsbeziehungen mit VeterinärmedizinerInnen: Verhaltenstherapie ohne eine solche Kooperation kann nicht verantwortet werden.

 

Alternativverhalten aufbauen

Ebenso wichtig wie der Abbau problematischen Verhaltens ist der Aufbau neuer Bewältigungsstrategien für das Tier. Aus diesem Grund stehen konstruktive Trainingsansätze im Vordergrund, die das Tier befähigen, in Zukunft mit schwierigen Situation fertigwerden zu können, ohne auf das alte problematische Verhalten zurückgreifen zu müssen. Auch die Bezugspersonen des Tieres müssen lernen können, Rückfälle zu vermeiden und neu entstehende Probleme frühzeitig erkennen und selbst behandeln zu können. Verhaltenstherapie muss transparent sein! 

 

Funktionale Verhaltensanalyse

Wissenschaftliche Verhaltenstherapie stellt keine "Diagnosen", sondern ermittelt auf der Grundlage der funktionalen Verhaltensanalyse die Beziehungen zwischen einem problematischen Verhalten und der Umwelt des Tieres. So entsteht eine wahre individuelle Betrachtung und Bearbeitung des Verhaltens, des Tieres und seiner Lebensumstände. Sobald wir wissen, welche Faktoren zu dem Verhalten führen und es trotz aller bisherigen Bemühungen aufrecht erhalten, erschliessen sich zügig mehrere Möglichkeiten zur Verhaltensveränderung. Dies ist bedeutsam, weil nicht jeder Tierhalter in der Lage ist, ein "Standard-Rezept" in seinen Alltag zu integrieren. Je passender der Verhaltensberater die Interventionen zur Verhaltensveränderung zuschneiden kann, desto wahrscheinlicher werden Akzeptanz und Erfolg sein.

 

Verhaltenstherapie bedeutet, Umweltbedingungen, Lernen und Gesundheit so miteinander zu verknüpfen, dass für das Tier funktionales, für den Menschen akzeptables Verhalten geformt werden kann. Nur so können Beide sich wohlfühlen.

 

© cumcane familiari/Ute Blaschke-Berthold